Hip Hop Magazin „BOOMY“
Die Story des Magazins aus Dresden über Rapmusik, Graffiti, DJing und Breakdance
Das Hip Hop Magazin BOOMY aus Dresden war in den 1990er Jahren eines von ganz wenigen Magazinen aus dem Hip Hop im deutschsprachigen Raum. Gegründet wurde das BOOMY 1993 von Klaus Heidemann und Henrik Lang in Dresden, erhielt aber unschätzbare Unterstützung im Freundeskreis sowie aus der Hip Hop Szene im gesamten deutschsprachigen Raum. 1996 wurde das Erscheinen eingestellt. Hier ist die Story dazu.
Anfang der 90er Jahre im vergangenen Jahrtausend: Das Internet war faktisch noch nicht existent, die Telefone hatten eine Schnur, Bilder wurden als Fotoabzüge per Post verschickt. Der Austausch von Informationen innerhalb der Hip-Hop-Szene erfolgte meist auf überregional bedeutsamen Veranstaltungen. Und die fanden eher in Hamburg oder Köln statt, nicht in Dresden am Rande der Republik.
1993: Einfach machen…
Deshalb beschlossen Henrik Lang und ich, ein Hip Hop Magazin zu gründen. Denn Magazine spielen für die Vernetzung eine wichtige Rolle. „Dieses Magazin soll ein offenes Inzine sein. Damit meinen wir, dass jeder schreiben kann, was er möchte, nur steht er dafür auch mit seinem Namen,“ so beschrieben wir im ersten Heft das Konzept.
Das Magazin sollte ein Knotenpunkt der szeneinternen Kommunikation werden. Wir baten uns bekannte Aktive in der ganzen Bundesrepublik und auch der Schweiz, über die Entwicklung in ihren Regionen zu schreiben. Bereits für die erste Ausgabe konnten wir Autoren und Fotografen aus Berlin, Hamburg, Köln, der Schweiz und natürlich aus Dresden und Umgebung gewinnen. Einige Artikel schrieben wir selbst.
Große Hilfe erfuhren wir auch aus dem Freundeskreis: Thomas Vick, Mario Braun, Studio 17 sowie Stefan Richter aus Chemnitz (heute bekannt als Trettmann) und SIMO aus Hamburg – um nur einige zu nennen – waren uns eine wichtige Unterstützung.
Die Produktion der ersten Ausgabe erfolgte entsprechend unserer damaligen technischen Möglichkeiten. Das Layout wurde in Word erstellt, der Platz für Fotos und Grafiken freigelassen, diese dann auf die Ausdrucke aufgeklebt. Die Druckerei Offsetdruck Coswig beherrschte damals noch die Technologie, die Klebemontagen abzufotografieren und daraus Druckfilme zu entwickeln. Schwarz-Weiß, natürlich.
Vertrieben wurde das Hip Hop Magazin auf Veranstaltungen, über Partner und in Schallplattenläden. Auch die Bestellung per Post spielte eine große Rolle. Vom Erfolg und der Resonanz auf das erste Heft waren wir völlig überrascht.
Sidekick: Wie kamen wir zu den namhaften Autoren aus der Hip Hop Szene in ganz Deutschland (und der Schweiz)?
Ganz einfach: Wir haben sie gefragt. Es gab damals einen großen Zusammenhalt innerhalb der Hip Hop Szene. Die Zahl der Aktiven war überschaubar. Wie in jeder Familie kannte man sich, war sich wohlgesonnen oder auch nicht. Direkt oder indirekt konnten wir jeden erreichen: auf Veranstaltungen, per Post oder Telefon. Man kannte sich. Und wenn nicht, dann kannte man jemanden, der jemanden kennt. Wie das halt so ist. Aber fragen musste man schon, von allein passiert nichts.
1993–1995: Da entsteht etwas…
Innerhalb von zwei Jahren folgten fünf weitere Ausgaben des Hip Hop Magazins. Das inhaltliche Konzept blieb gleich, doch die Produktion änderte sich kontinuierlich: Dank Rene Wetzel konnten wir ab der zweiten Ausgabe eine farbige Innenseite (und später auch einen farbigen Umschlag) umsetzen.
Ab der vierten Ausgabe erstellte ich das Magazin am eigenen Mac. Als Satzprogramm stand mir zunächst Pagemaker zur Verfügung.
Viele Autoren wie der bekannte Graffiti-Künstler Loomit, die Hip Hop Aktivistin Mansha, Zora, Divine und der Buchautor Stascha Bader kamen hinzu. Wir erhielten Zuarbeiten aus den Niederlanden, Großbritannien und sogar aus Südafrika.
Ab der sechsten Ausgabe hatten wir mit zAzOu, Naomy und Shy auch eine Redaktion in Berlin. Das alles natürlich nach wie vor ehrenamtlich von allen Beteiligten.
Doch ein anderes Problem tat sich auf: Graffiti ist ein wichtiger Bestandteil der Hip-Hop-Kultur, und zugegebenermaßen nicht immer legal. Obwohl wir Presseausweise hatten und ordentlich akkreditierte Journalisten waren, „verschwanden“ immer wieder Briefe an uns, die Fotos enthielten. Um unsere Bildautoren nicht zu gefährden, mussten wir nun zur anonymen Zusendung aufrufen.
Zeitgleich mit dem BOOMY hatten sich übrigens einige weitere Hip-Hop-Magazine gegründet, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiteten, so z. B. Backspin aus Hamburg oder Make’t Better aus der Schweiz. Auch das MZEE entstand in dieser Zeit.
1995: Gemeinschaftsprojekt der Hip Hop Magazine BOOMY und King Styles
„King Styles aus Münster und BOOMY aus Dresden – zwei recht unterschiedliche Hip Hop Magazine – haben sich zusammengetan.“ So begann das Editorial dieser gemeinschaftlichen Sonderausgabe. „Swen von King Styles kümmert sich um den Aerosol part, GRIOT und Trickster vom BOOMY um den schwarz-weißen Rest,“ wurde die Arbeitsteilung beschrieben. Denn die inhaltlichen Schwerpunkte der beiden Magazine waren recht verschieden: King Styles war ein reines Graffiti-Magazin war, hatte dafür aber in dieser Szene weitreichendere Kontakte. Das BOOMY war das eher der Allrounder des Hip Hop und konnte auch mit musikalischer Kompetenz aufwarten.
Die Produktion des Heftes war ein Abenteuer: Wir in Dresden gestalteten unsere Schwarz-Weiß-Seiten und lieferten die Druckfilme nach Münster. Swen von King Styles fügte die Druckfilme der von ihm gestalteten Farbseiten dazu. Zusammen gingen die Druckfilme in die Druckerei.
Der eine wusste nicht, wie die Seiten des anderen aussahen. Das Gesamtergebnis erlebten wir erst als fertiges Druckstück. Ein wirklich gelungenes Experiment, welches aber als einmaliges Projekt angelegt war.
1996: Der Abschied als Hip Hop Magazin
Der Hip Hop veränderte sich. War in der ersten Hälfte der Neunziger Jahre der Geist des Engagierens, des Anpackens prägend für die Szene, ging es nun zunehmend um das gute Aussehen. Markenware wurde wichtiger als Geleistetes. Hinzu kam bei vielen Youngsters das affektierte Nacheifern der Gangster-Rap-Stars.
Das Hip Hop Magazin BOOMY war außerordentlich erfolgreich. Die Arbeitsweise verbesserten wir immer mehr, unsere Vernetzung in der Hip Hop Szene wurde immer enger. Doch es machte keinen Spaß mehr. Die achte Ausgabe war erschienen, nach der neunten im Juli 1996 sollte mit dem Hip-Hop-Magazin Schluss sein. Da waren Henrik und ich uns einig.
1996: Der Neuanfang als Lifestyle Magazin
Doch im Herbst fragte mich Rene Wetzel, der in der Werbeagentur WDS Pertermann arbeitete, ob ich das Magazin für die Agentur weiterführen würde. Ich war einverstanden, bestand aber auf ein neues – erweitertes – Konzept.
„Hip Hop – mutiert zu einem Begriff, der zwischen Leibesübungen auf Krankenschein bis zum Freizeitvergnügen für 12jährige alles zu bieten hat,“ schreibt Mansha ironisch in ihrem Artikel des ersten „neuen“ BOOMY. Es sollte im BOOMY zwar weiterhin um Hip Hop gehen, aber auch um Lifestyle, Literatur und andere Kulturen.
Wir änderten auch das Produktionskonzept: Der Inhalt wurde von mir koordiniert. Drei Agenturen (WDS Pertermann, SUBdesign und die Agentur Krahl) lieferten die Layouts. Die meisten Fotos wurden von professionellen Fotografen erstellt.
Das Magazin sollte aller zwei Monate erscheinen und nun auch über Bahnhofskioske vertrieben werden. Doch das Projekt scheiterte. Während der Gestaltung des dritten Hefts wurde der Schlussstrich gezogen. Leider muss ich zugeben: Zu Recht.
Das Scheitern…
… der Professionalisierung hatte mehrere Gründe. So waren nun die Anzeigenpreise deutlich höher. Deshalb verhandelte ich nicht mehr mit den Produktmanagern der Schallplattenlabels (die das „alte“ BOOMY kannten und schätzten), sondern mit den Marketingleitern. Doch denen konnte ich das Produkt BOOMY nicht schlüssig erläutern. Wie auch? Es war nicht schlüssig. „Wie überall gibt es auch im Hip Hop Aktive, die einen recht weiten Horizont haben, über die Grenzen ihres „Fachgebietes“ hinausblicken, sich von diesen Dingen auch inspirieren lassen und so völlig neue Einflüsse in den Hip Hop hinein bringen,“ schrieb ich im Vorwort des dritten neuen BOOMY. Das stimmt zwar. Doch ein Zuviel an „über’n Tellerrand schauen“ funktioniert nicht. Nicht für ein Magazin, welches eigentlich eine konkrete Zielgruppe im Blick hat. Und diese Zielgruppe nicht umfassend bedient. Klassisch am Markt vorbeiproduziert.
Diese Marketing-Grundlagen und vieles mehr sollte ich in den folgenden Jahren lernen. Doch das ist eine andere Geschichte.
Sidekick: Graffiti Event „Sprühfrisch“ 1996 und 1997 in Dresden-Prohlis
Unter großem Engagement von Mario Braun und Andy K wurde in Dresden ein Graffiti-Event organisiert. Die Stadt gab die Turnhalle der 121./122. Schule in Dresden-Prohlis zum Besprühen frei. Graffiti-Künstler aus Deutschland und der Schweiz reisten an. Ob Hamburg, Basel, München: Viele der bedeutendsten Graffitikünstler gaben sich die Ehre. Die Turnhallenwände verwandelten sich zu einer großen Galerie. Abend gab es Hip Hop Konzerte in einem Jugendclub in Dresden-Reick.
Beteiligt waren unter anderem DARE, Tasek, Skena, Loomit, Toast, DAIM, Ben, Hesk sowie die Lokalmatadoren Arve, Mote, Stak, Schmidt, Dopeman und Earl.